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15. Stuttgarter Sportgespräch

2019

„E-Sports — No Sports?“

„E-Sports – No Sports?“, oder wie es Churchills Landsmann Shakespeare formuliert hätte: „To e or not to e“ – das war die Frage beim 15. Stuttgarter Sportgespräch. Und die Meinungen konnten unterschiedlicher kaum sein:
Veronika Rücker, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), zog einen klaren Trennstrich: Wenn anerkannte Sportarten elektronisch betrieben würden, etwa Golf mit realen Schlägen oder Segeln vor dem Bildschirm mit realen Bewegungen, so handle es sich um „virtuellen Sport“; dagegen seien Computerspiele ohne konkreten Bezug zu analogen Sportarten, etwa Ego-Shooter-Spiele, sicher kein Sport und seien daher konsequenterweise auch nicht als „E-Sport“, sondern als „E-Gaming“ zu bezeichnen.

Der für Sponsoring zuständige SAP-Aufsichtsrat Lars Lamadé betrachtete die Frage aus anderer Perspektive: Es sei nicht entscheidend, ob Computerspiele als „E-Sport“ bezeichnet und als Sportart anerkannt würden oder nicht; die unter der Bezeichnung „E-Sport“ gespielten Computerspiele seien jedenfalls ein hervorragendes Medium, um SAP als Unternehmen unter jungen Leuten bekannt zu machen. Die Zuständigkeit für „E-Sport“ sei bei SAP konsequenterweise in der Personalabteilung angesiedelt. Man habe unmittelbar feststellen können, dass das SAP-Engagement im „elektronischen Sport“ sofort positive Auswirkungen auf das Bewerberverhalten hatte; daher müsse sich SAP auf diesem Gebiet im Kampf um die besten Köpfe engagieren.

  Magazin  
  & Impulsreferat  

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Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor des Klinikums für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Ulm, bezog klar Position gegen eine Anerkennung von Computerspielen als „Sport“: „Was unsere Kinder krank macht, soll jetzt auch noch staatlich gefördert werden? Verrückt!“ Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegten, dass regelmäßiges mehrstündiges Computerspiel für Kinder und Jugendliche extrem schädlich sei. So werde bei solchen Spielen hoher Stress erzeugt; anders als im realen Sport könne die mobilisierte Energie aber nicht abgebaut werden. Digitale Medien schadeten nachweislich dem Bildungsprozess Jugendlicher und steigerten ausweislich von Studien bei extremem Konsum die Selbstmordrate. Nicht umsonst habe die Weltgesundheitsorganisation WHO Computer- und Internetsucht als Krankheitsbild anerkannt. Eine Versöhnung zwischen realem Sport und virtuellen Sport strebte Christian Ruf an, seines Zeichens Bereichsleiter Digitaler Vertrieb und damit zugleich „E-Sport-Chef“ des VfB Stuttgart: „Unser Ziel ist es, die Sportler auch zum echten, also analogen Sport, zu bringen. Das eine sollte das andere nicht ausschließen. Da wir nicht umsonst „Verein für Bewegungsspiele“ heißen, wird bei uns immer ein Schwerpunkt auf analogem Sport liegen“. ​ Frau Rücker verdeutlichte die Position des DOSB, wonach derzeit auch die virtuellen Sportarten nicht als eigener Verband anerkannt und in den DOSB aufgenommen werden könnten: Hierzu sei nicht allein das Merkmal fehlender Bewegung ausschlaggebend; vielmehr bedürfe es für eine Aufnahme als Sportverband in den DOSB weiterer Kriterien wie Wettkampfcharakter, Organisationsform oder Gemeinnützigkeit, die derzeit für Computerspiele nicht vorlägen. Beim Stichwort „Gemeinnützigkeit“ warf Professor Spitzer ein, das sei ein entscheidender Punkt: Man könne nicht nachweislich gesundheitsschädliche Tätigkeiten auch noch als „gemeinnützig“ anerkennen. Im Impulsreferat hatte Rechtsanwalt Dr. Matthias Breucker von der Kanzlei Wüterich Breucker das Phänomen „elektronischer Sport“ beschrieben und die Frage aufgeworfen, ob und unter welchen Voraussetzungen Computerspiele unter „Sport“ fallen können. Eine Einordnung mit der klassischen juristischen Methode einer Definition und anschließender Subsumtion gestalte sich schwierig, da schon die Definition umstritten sei. Bislang sei eine weltweit anerkannte, einheitliche Definition des Begriffs „Sport“ noch nicht gefunden: Beim häufig zugrunde gelegten Kriterium der körperlichen Bewegung stritten sich die Geister, wie ausgeprägt diese Bewegung sein müsse, um als „Sport“ zu gelten. So sei die Sportart Schach aufgrund der Bewegung beim Ziehen der Figuren und der Notwendigkeit, die Schachuhr zu betätigen, nach anfänglichem Widerstand als Sport anerkannt worden; dagegen blieb dies Spielen wie Skat oder Poker versagt. Vielfach wird daher zum Moment der Bewegung der Wettbewerbscharakter hinzugenommen, um „Sport“ von sonstiger Bewegung zu unterscheiden. Je nach kulturellem Verständnis wird aber auch die einvernehmliche Ausübung ohne Wettbewerb als „Sport“ verstanden. Sportrechtsanwalt Breucker arbeitete auch die zentralen Antipoden heraus: Während die Befürworter eines weiten Sportbegriffs unter Einschluss von Computerspielen ins Feld führen, dass man andernfalls viele Jugendliche für den Sport „verliere“, argumentieren andere, darunter zuletzt IOC und DOSB, dass Computerspiele insgesamt den Anforderungen an „Sport“ nicht entsprechen; dabei gelte das Augenmerk nicht nur dem Aspekt der Bewegung, sondern auch klassischen sportlichen Werten. Vor Beginn der Podiumsrunde hatten die professionellen „E-Sportler“ Francesco Mazzei vom FSV Mainz 05 und Marcel Lutz – Künstlername „MarLutz“ – vom VfB Stuttgart eine Halbzeit lang auf der Bühne das Computerspiel „FIFA19“ präsentiert und im Gespräch mit Moderator Jens Zimmermann ebenso anschaulich wie unterhaltsam erläutert. Auf den Hinweis von Lars Lamadé, dass die Entwicklung des E-Sports zum Massenphänomen nicht mehr aufzuhalten und Deutschland von China und Japan bereits überholt worden sei, ohne es zu merken, erwiderte Professor Spitzer, nicht alles, was viele machten, sei auch richtig. Vielmehr müsse man sich gegen diese scheinbar unausweichliche Bewegung zur Wehr setzen. Lamadé führte aus, dass nach allen Prognosen der elektronische Sport in wenigen Jahren das zweitgrößte Massenphänomen nach Fußball sein werde. Jetzt schon gebe es Wettbewerbe, bei denen bis zu 25 Millionen Euro Preisgeld ausgeschüttet werde. Professor Spitzer wies darauf hin, dass solche Größen kein Maßstab sein könnten: „Mehr“ sei nicht unbedingt “besser“; es behaupte ja auch niemand, dass eine höhere Körpertemperatur besser sei als eine niedrige. Wenn manche Computerspielern eine erhöhte Aufmerksamkeit attestierten, so beruhe dies auf Studien, wonach „E-Sportler“ leichter ablenkbar seien; es sei abenteuerlich, hieraus positive Schlussfolgerungen für das Computerspielen zu ziehen. Die DOSB-Vorsitzende Veronika Rücker verwies darauf, dass eine Einordnung als Sportverband auch daran scheitere, dass die „Publisher“ der E-Spiele jedes Jahr neue Spiele mit neuen Regeln und Anforderungen herausbrächten. Eine verlässliche Trainings- und Wettkampfplanung und eine sinnvolle Ausbildung Kinder und Jugendlicher sei auf dieser unsicheren Grundlage nicht möglich. Sie begrüße es daher, dass sich das IOC zuletzt gegen eine Aufnahme von E-Sport im Sommerprogramm ausgesprochen habe. Zugleich wies Frau Rücker darauf hin, dass jedes Gastgeberland fünf Sportarten in das olympische Programm aufnehmen dürfe; vor diesem Hintergrund sei sie gespannt, wie sich die Lage bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles darstellen werde. In die spannende Diskussion brachte sich auch „E-Sportler“ Marcel Lutz engagiert ein; er wandte sich gegen das in der Öffentlichkeit häufig gezeichnete Bild des „Zockers“ und verwies darauf, über das Computerspielen, etwa des Spiels „Pokemon Go“, habe er interessante Leute kennengelernt, die heute zu seinen Freunden zählten. Professor Spitzer erwiderte, das Kennenlernen anderer sei kein geeignetes Kriterium, um Computerspiele als sinnvoll einzustufen, da man auch bei anderen, nicht gesundheitsschädigenden Tätigkeiten Freunde kennenlernen könne. Zu Beginn des Abends hatten Gastgeber Dr. Christoph Wüterich von der Kanzlei Wüterich Breucker und Moderator Jens Zimmermann von 24passion über 300 Gäste im Eventcenter der SpardaWelt begrüßt. Dr. Wüterich hatte in seinen Eingangsworten auf das Wagnis hingewiesen, das für die Veranstalter mit der Themenwahl „E-Sports – no Sports?“ verbunden gewesen sei; die große Resonanz zeige aber, dass die Teilnehmer des Sportgesprächs offen für auch solche Themen seien, was ihn besonders freue. In seinem Grußwort hatte Dr. Martin Schairer, Bürgermeister für Sicherheit, Ordnung und Sport der Landeshauptstadt Stuttgart, auf die Bedeutung der Motorik gerade für Kinder und Jugendliche hingewiesen; hier setze die Stadt Stuttgart nach wie vor einen Schwerpunkt ihrer Arbeit. Wie E-Sport einzuordnen sei, sei derzeit noch offen; man verfolge mit Interesse die Diskussion und begrüße es, dass die Kanzlei Wüterich Breucker mit dem traditionellen Stuttgarter Sportgespräch hierfür ein hochkarätiges Forum biete. Klar sei für ihn, dass die Grenze dort zu ziehen sei, wo gewaltverherrlichende Spiele gespielt werden; hier noch von Sport zu sprechen, sei mit einem großen Fragezeichen zu versehen. In der anschließenden Diskussion unter anderem mit Daniel Bohnacker, Deutscher Meister im Freestyle-Ski, wurde die Frage aufgeworfen, wo die Altersgrenze für „E-Sportler“ zu ziehen sei; Christian Ruf teilte mit, es gebe derzeit keine feste Altersgrenze, doch ordne er Jugendliche unter 16 Jahren dem spielerischen Bereich zu, während ab 16 Jahre von Wettkampfbetrieb gesprochen werden könne. Auf die Frage aus dem Teilnehmerkreis, wie die Abgrenzung zwischen E-Gaming und virtuellem Sport etwa im Falle von Spielen wie „FIFA 19“ zu ziehen sei, bei dem zwar auf dem Bildschirm „Fußball“ gezeigt werde, die Bewegung mit dem realen Sport aber nichts zu tun habe, erwiderte Frau Rücker, aufgrund des dennoch vorhandenen Bezugs zum realen Sport, sei dies auch als virtuelle Sportart anzusehen, auch wenn in diesem Fall nicht die der analogen Sportart eigene Bewegung ausgeübt werde. Die Beiträge auf dem Podium wie von den übrigen Teilnehmern zeigten anschaulich die unterschiedlichen Perspektiven und verdeutlichten, dass derzeit wichtige Weichen für die gesellschaftliche Bewertung und die organisatorische Einordnung des Phänomens „Computerspiel“ gestellt werden. Beim anschließenden Empfang mit vielen Sportlern, Vertretern von Sportvereinen und -verbänden setzte sich die kontroverse und engagierte Diskussion unter den Teilnehmern fort. Für den 3. Februar 2020 ist das 16. Stuttgarter Sportgespräch geplant.

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